Theiresias: Ich dachte, Van Gogh hätte dem Absinth über die Maße zugesprochen und sich in dessen Folge ein Ohr abgeschnitten; nicht dagegen dachte ich, du, verehrter Krowoski, hättest dem Absinth allzu stark zugesprochen, um nun unscharf zu sehen. Oder siehst du gar doppelt?
Krokowski: Nicht doch, schließlich ist es schon eine Weile her, daß wir in Hintertupfingen unseren musikalischen wie auch den sonstigen Durst gestillt haben.
Theiresias: Oh ja, die Dornfelder Schädelstätte hätte auch ein paar meiner geschätzten Hirnzellen fast über den Jordan getrieben, bis sie sich entschlossen, daß es in Cisjordanien doch hübscher sei, wo sie mir ein paar Durakkorde auf Goll-Orgeln zu Bewußtsein bringen können.
Krokowski: Die Gedanken sind frei. Die Gehirnzellen auch?
Theiresias: Lieber Krokowski, ich glaube, du hast zu viele Seelen zergliedert. Aber notfalls können wir mal Holger fragen. Was mich viel mehr interessieren würde, ist, was nun unscharf an diesem Bild ist, vor dem wir stehen.
Krokowski: Na die Kornfelder, der Himmel, die Wolken, die Heuhaufen... einfach alles.
Theiresias: Ich sehe das Bild scharf. Da ist nichts verschwommen, sondern alles glasklar.
Krokowski: Ich wußte ja, daß der blinde Seher Theiresias das sieht, was andere nicht sehen. Aber daran, daß er dasjenige scharf sieht, was andere nur verschwommen sehen, habe ich leider bislang nicht gedacht.
Theiresias: Mach dir nichts draus, Krokowski. Auch wenn du das Bild nur verschwommen siehst, sieht es dich garantiert scharf. Du weißt ja: Gute Kunstwerke schaut man nicht nur an. Gute Kunstwerke blicken zurück.
Die Überwachungskamera surrt leise, dann immer lauter. Schließlich explodiert sie. Nur Van Goghs Bild, Theiresias und Krokowski sind noch im Raum. Von der Überwachungskamera steigt etwas Qualm auf.