Montag, 20. Oktober 2008

Theiresias und Krokowski auf Reisen. Heute: In Antwerpen.

Theiresias und Krokowski schlendern durch die Fußgängerzone von Antwerpen.

Krokowski: Ich wußte gar nicht, daß Du so ein großer Tunnelfreund geworden bist, Theiresias. Ich muß übrigens sagen, daß ich wirklich sehr froh war, als ich dich im Kaisertal endlich dazu bewegen konnte, von der Tunneleinfahrt fort zu gehen, schließlich mußte ich die ganze Zeit daran denken, wie im April ein ICE entgleiste, weil eine Herde Schafe in der Tunneleinfahrt stand.

Theiresias: Aber so schlimm war das Unglück doch gar nicht; na gut, 19 Menschen wurden verletzt, aber ich bin mir sicher, daß schon pro Tag mehr als 19 Menschen einen mittelschweren Tobsuchtsanfall erleben, weil die Bahn mal wieder unerklärbare Mätzchen macht.

Krokowski: Für den ICE war das Unglück vielleicht nicht so schlimm, aber für die Schafe schon, die wurden nämlich in ihre Moleküle zerfetzt. Und wir wären im Kaisertal nicht der ICE, sondern eindeutig die Schafe gewesen! Aber wir haben es glücklicherweise ja überlebt. (Theiresias seufzt, und selbst Krokowski findet, daß sie jetzt genug Moral gepredigt hat. Kurze Pause. Danach versöhnlicher:) Wie hat Dir denn der hiesige ICE- und schaffreie Fußgängertunnel gefallen? Immerhin geht er unter der ganzen Schelde hindurch, und die ist hier ja ganz schön breit.


Theiresias: Ja, der war schon ganz nett. Aber ich frage mich, warum die Antwerpener überhaupt einen Tunnel unter dem Fluß gegraben haben, schließlich scheint es, daß er lediglich von Touristen frequentiert wird. Wenn überhaupt.

Krokowski: Ich glaube, die andere Seite des Flusses ist ziemlich langweilig. Da gab es ja gar nichts, abgesehen von einem Spielplatz.

Theiresias: Der war dafür umso lustiger. Aber du hast recht, man bleibt zwar aus Verpflichtung zehn Minuten auf der anderen Flußseite, aber damit hat man auch genug gesehen.

Krokowski: Beim Channel Tunnel verhält es sich ja auch ähnlich. Man ist doch sehr froh, wenn man wieder in Frankreich ist, nicht mehr ständig fürchten muß, von auf der falschen Seite fahrenden Autos überfahren zu werden und man auch nicht mehr verhungern muß.

Theiresias: Vorurteile, nichts als Vorurteile! Ich muß schon sagen, Krokowski, von Dir als ---

Theiresias und Krokowski bleiben wie angewurzelt stehen. Die Konversation wird durch ungläubiges Starren unterbrochen. Erst nach etwa drei Minuten fangen sich Krokowski und Theiresias und finden erste Sprachbrocken wieder.


Krokowski (stammelnd): Thei-, Thei-, Thei-,

Theiresias (aushelfend): Theiresias?

Krokowski (entgeistert): Theiresias, was machen die beiden Herren?

Theiresias: Sie lassen rohe Eier auf sich werfen, aber weil sie nicht den ganzen Schleim im Gesicht haben wollen, schützen sie ihr Gesicht mit einem Vogelkäfig.

Krokowski: Und warum machen sie das?

Theiresias: Wenn Du mich fragst, Krokowski, wollen die beiden damit auf die desaströse Lage der mitteleuropäischen Hühner aufmerksam machen. Das gemeine Huhn wird noch viel zu häufig in Käfigen unter grausamsten Bedingungen gehalten und in einem medikamentösen Schnellverfahren dazu gebracht, möglichst viele Eier zu legen und dabei gleichzeitig möglichst fett zu werden. Zudem sind Experimente am Laufen, um den Goldgehalt der Eier zu erhöhnen und die Hühner gleichzeitig zum Milchproduzieren zu veranlassen.

Krokowski: Für viel plausibler halte ich den Gedanken, daß die beiden gegen die Lebensmittelverschwendung in den westlichen Ländern protestieren wollen. Ständig werden Lebensmittel in den Müll geworfen, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht einmal erreicht oder gerade um ein paar Tage überschritten wurde. Wir bringen den Lebensmitteln nicht mehr die Wertschätzung entgegen, die ihnen gebühren. Dabei ist das Hungerproblem in der Welt noch lange nicht gelöst!

Theiresias: Das ist ja nun blanker Unsinn. Kein Mensch würde auf einen solchen Protest auf derartige Weise vorbringen!

Krokowski: Wollen wir wetten?

Theiresias: Ach Krokowski, jetzt hast Du mich an meiner Schwachstelle gepackt. Und das weißt Du auch genau! Also gut. Falls meine Theorie stimmt, machst du die Yoga-Pose "Der Hahn" und krähst dabei Kikeriki.

Krokowski: Und falls meine Theorie stimmt, ist das Dein Job. Ich geh die beiden Herren mal fragen, gegen was oder wen sie denn nun protestieren. Aber ich muß schon bemerken, daß ich es vorbildlich finde, wenn sich auch die jüngeren Generationen für politische Themen begeistern und all ihre Kreativität in Protestaktionen wie diese stecken können!

Krokowski geht zu den beiden und redet mit ihnen. Als sie wieder kommt, zieht sie eine Grimasse. Theiresias schaut gespannt.

Krokowski: Es ist ein Aufnahmeritual für eine Studentenverbindung.

Theiresias: Dann gehen wir jetzt Schokolade kaufen.